Grand Prix: Was bitte hatte ein Country-Song mit Deutschland zu tun?
Nichts gegen die künstlerische Leistung von „Texas Lightning“, aber mit einem Country-Song beim „Eurovision Song Contest“ aufzukreuzen, das ist noch blödsinniger als mit den „Wildecker Herzbuben“. Ein Glück, dass die anderen Nationen wenigstens unseren unterirdischen Kommentator Peter Urban nicht hören konnten, sonst hätte es vielleicht noch ein paar Mitleidspunkte mehr gegeben.
Der peinlichste Moment des Abends brach an, als die griechische Regie nach Deutschland schaltete, um die Voting-Resultate der deutschen Zuschauer abzufragen. Auf dem Bildschirm erschien ein alberner Cowboy im Sattel einer Pferde-Attrappe, von dem niemand wusste, ob es eine Persiflage oder Ernst sein sollte. Nur eines wusste die gesamte Eurovisions-Welt: Das war nicht Deutschland, das war nicht Europa, das war nur noch peinlich.
rgm - 21. Mai, 01:00
Im Rahmen der eigenen Kultur etwas Neues zu kreieren, das war die Herausforderung. Der Country-Song bot nicht mal in seinem Genre Neues, eine gefällige Melodie halt, professionell dargeboten.
Die Kultur des Landes...
Bei einigen Beiträgen war das Bemühen, sich auf folkloristische Traditionen zu stützen zwar spürbar, waren jedoch oft dann eher peinlich (bis auf die Ausnahme des bosnischen Beitrags).
@RGM
Ich glaub, das hast Du wirklich mißverstanden. Die sogenannte „Kultur des Teilnehmerlandes“ spielt beim Song Contest genauso wenig eine Rolle wie bei der Fußball-WM. (Da fragt man ja auch nicht, warum Länder gegeneinander antreten, wenn die Kultur keine Rolle spielt.)
Die Herausforderung, „im Rahmen der eigenen Kultur etwas Neues zu kreieren“, hast Du wohl gerade frei erfunden ;-)
„Kein Musikwettbewerb“
Ich möchte jetzt hier nicht den großen Rechthaber geben, und es ist sicher richtig, dass die von euch hier genannte Definition viele teilen, aaaaber:
Im Rahmen seiner Öffentlichkeitsarbeit für den Eurovision Song Contest (ESC) hat der NDR (für die ARD) auch ein Interview mit dem Musikwissenschaftler Dr. Irving Wolther geführt, den man wohl spätestens seit seiner Doktorarbeit über das Thema „Kampf der Kulturen – der Eurovision Song Contest als Mittel nationalkultureller Repräsentation“ als Song Contest-Experten bezeichnen darf.
In diesem Interview wird er nach der „wichtigsten Erkenntnis“ seiner Doktorarbeit gefragt und antwortet:
„Die wichtigste Erkenntnis ist, dass es sich beim Eurovision Song Contest nicht um einen Musikwettbewerb handelt. Das Ganze wurde von den Fernsehanstalten als Forum der Zusammenarbeit ins Leben gerufen. Mittlerweile gibt es eine Eigendynamik, die auf so genannten nationalkulturellen Elementen beruht. Insbesondere Länder mit einer jungen demokratischen Tradition und einem geringeren Bruttoinlandsprodukt tendieren sehr stark dazu, ihre eigene Kultur darzustellen, weil sie in dieser Kultur die Quelle ihres zukünftigen Reichtums und Erfolgs in der Welt sehen.“
Hier könnt ihr das ganze Interview lesen: http://www.ndrtv.de/grandprix/news/20060519_interview_wolther.html
(@OSSI1967: „Im Rahmen der eigenen Kultur etwas Neues zu kreieren“ ist mein Versuch, das o.g. etwas kürzer zu formulieren.)
Mich persönlich hat aber gar nicht die fehlende deutsche Kultur in unserem Eurovisionsbeitrag gestört, sondern dass es eins zu eins US-amerikanische Kultur war. Mit diesem ganz normalen Country-Song hätte man sich nahtlos in jeden Country-Contest in der amerikanischen Provinz einreihen können. Für mich war das so, als ob Frankreich mit einem Lied der „Kastelruther Spatzen“ angetreten wäre.
@RGM - Für mich war das so als ob
Da mögen die hehren Ziele der Musikwissenschaftler hinter den harten Realitäten des kommerziellen Entertainment verblassen. Mir scheint hier einer Weichzeichnung des ESC das Wort geredet zu werden, die vielleicht zu Zeiten von Udo Jürgens' Sieg noch gegolten haben mag, inzwischen jedoch (leider? leider!) seit Jahrzehnten obsolet ist.
@RGM
„Insbesondere Länder mit einer jungen demokratischen Tradition und einem geringeren Bruttoinlandsprodukt tendieren sehr stark dazu, ihre eigene Kultur darzustellen …“ - aka „Nationalismus“.
Ich sehe gerade Deutschland nicht als Land mit einer jungen demokratischen Tradition und geringem Bruttoinlandsprodukt. Ich halte auch die von Wolther beschrieben nationalistischen Tendenzen (die u.a. ja auch zur Blockbildung beim Voting führen) nicht für den erstrebenswerten Sollzustand, sondern für eine leider zu akzeptierende Zeiterscheinung. (Hoffentlich legt sich das wieder, wenn die betr. Staaten sich stabilisiert haben.)
Kurz: Die „Darstellung der eigenen Kultur“ (was immer das dann sein mag im Fall Deutschland) ist nicht Sinn und Zweck des Song Contest; die Veranstaltung wird nur von einigen Ländern dazu mißbraucht, was nicht zu verhindern ist. - Kritik zu üben, weil Deutschland diesem Trend nicht folgt, finde ich unangebracht. Im Gegenteil.